Es ist eine Tradition in Österreich, dass LGBTIAQ+ Rechte nicht vom Parlament beschlossen werden, sondern durch Klagen bis zum Verfassungsgerichtshof erwirkt werden müssen.
Das geht von der Aufhebung des höheren Schutzalters für Sexualkontakte zwischen Männern (Strafbar bis 2002, Aufhebung durch den VfGH1), der Adoption von fremden Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare (verboten bis 2016, Aufhebung durch den VfGH2), der gleichgeschlechtlichen Ehe (möglich seit 2019, Aufhebung mehrerer verfassungswidrigen Einschränkungen durch den VfGH345678) und jetzt zuletzt die Möglichkeit, andere Geschlechtseinträge als “männlich” und “weiblich” zu führen (ermöglicht durch den VfGH 20189, verhindert durch Innenminister Herbert Kickl10).

2018 erkennt der Verfassungsgerichtshof zu Recht: Es muss möglich sein, andere Geschlechtseinträge im Personenstandsregister zu führen, als “männlich” und “weiblich”. Als Kriterium für den Eintrag ist die Geschlechtsidentität der jeweiligen Person heranzuziehen.

Dieses von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf individuelle Geschlechtsidentität umfasst auch, dass Menschen – nach Maßgabe des Absatzes 2 dieser Verfassungsbestimmung – (nur) jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelung akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.
Eine gesetzliche Verpflichtung zur Angabe einer ihrer geschlechtlichen Identität widersprechenden Bezeichnung des Geschlechts von Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich im ZPR stellt eine fremdbestimmte staatliche Geschlechtszuschreibung und damit einen Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht dieser Personen auf individuelle Geschlechtsidentität dar.
Eine Verpflichtung zu einem und eine starre Beschränkung auf einen binären Geschlechtseintrag kann jedoch den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit nicht gerecht werden. Es ist kein Grund von entsprechendem Gewicht zu erkennen, der eine solche Beschränkung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechts auf individuelle Geschlechtsidentität rechtfertigt.

Erlass #

Doch Innenminister Herbert Kickl weist die Standesämter per Erlass an11, dass die Änderung nur jenen Personen möglich sein soll, die eine “nachweisebare Variante der Geschlechtsentwicklung per Gutachten nachweisen”. Das bedeutet, dass die Änderung nur Personen möglich ist, die “körperlich inter*” sind. Natürlich wurde auch dagegen rechtlich vorgegangen, und natürlich sind Erkenntnise des Verfassungsgerichtshofs zu befolgen10. Leider bindet die Rechtssprechung der Verwaltungsgerichte die Behörden nicht in anderen Fällen, darum ist der Erlass, trotz mehrfach festgestellter Rechtswidrigkeit, weiter in Kraft und durch die Standesämter zu befolgen.
Weiters lässt er das Personenstandsregister so anpassen, dass entgegen der Erkenntnis des VfGH nur der Eintrag “divers” möglich war. Auch sein Nachfolger Karl Nehammer lässt den Erlass weiter in Kraft. Erst durch eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs wird die Software geändert und die Einträge “inter”, “divers”, “offen”, sowie die Möglichkeit der Streichung eingeführt121311.

Die Gutachtenpflicht für eine “[körperliche] Variante der Geschlechtsentwicklung” und damit die de-facto Unmöglichkeit, den Eintrag zu ändern, bleiben. 2019 hat Herbert Kickl einmal über Menschenrechte gesagt “dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht”14 und dieser Geist lebt weiter: Mehrere Erkenntnisse der Landesverwaltungsgerichte geben Bescheidbeschwerden recht, Einträge werden auf nicht binäre Optionen geändert151617 oder gestrichen1819, der Erlass als rechtswidrig eingestuft20. Doch die Standesämter gehen auf Anweisung durch das Innenministerium in Amtsrevision. Dass es keine guten (rechtlichen) Argumente gibt, und es eigentlich ziemlich sicher ist, dass das BM.I hier verlieren wird, so wie in unzähligen Runden schon bei Alex Jürgen? Egal, ist ja nur unser Steuergeld.

Antrag #

Auch ich stelle am 04.08.2022 einen Antrag, meinen Geschlechtseintrag im Zentralen Personenstandsregister auf “divers” zu ändern. Ein Gutachten einer Psychiaterin, das meine Geschlechtsidentität bestätigt, und welches angelehnt ist an die Gutachten, die Transpersonen bringen müssen, schicke ich mit. 152 Tage später ein kommt ein Brief vom Standesamt. Bescheid steht drauf. Und: “Gemäß § 41 Abs 1 Personenstandsgesetz (…) wird der Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrages von “männlich” auf “divers” im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) abgewiesen”.
Warum? “Gemäß Art 10 Abs 1 Z 7 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) sind Personenstandsangelegenheiten einschließlich des Matrikenwesens sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Vollziehung Bundessache; gemäß § 79 PStG 2013 ist zum überwiegenden Teil der Bundesminister für Inneres (BMI) für den Vollzug des PStG betraut (…)”.
Und jener Bundesminister für Inneres hat “(…) in seiner Eigenschaft als Oberbehörde der österreichischen Personenstandsbehörden (…) in einem Erlass dargelegt, unter welchen Bedingungen einem Antrag auf “diverse” Geschlechtseintragung in das ZPR entsprochen werden kann. Mit Schreiben vom 04.11.2022 “Erlass - Durchführungsanleitung für die standesamtliche Arbeit (DA)” zur GZ: 2022-0.786.324, Seite 20ff formuliert das BMI die Vorgaben zur Bewilligung von eine der Varianten der Eintragung des Geschlechts bzw. Streichung des Geschlechtseintrages. Diese von der Oberbehörde erlassene Verwaltungsanordnung - als Erlass der Personenstandsbehörde kundgemacht - ist gemäß ständiger Rechtsprechung als behördeninterne Weisung anzusehen und daher im Vollzug von den Personenstandsbehörden zu befolgen.”.
Ich habe schon früher versucht herauszufinden, was in diesem Erlass steht, und eine Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz an das Bundesministerium für Inneres gestellt.

Eine Berichtigung des Eintrags "männlich" oder "weiblich" auf den Begriff "divers","inter" oder "offen" bzw. eine Streichung eines solchen Eintrags ist auf Basis eines Fachgutachtens durchzuführen, das Aufschluss darüber gibt, ob es sich um eine Person handelt, die auf Grund ihrer chormosomalen, anatomischen und/oder hormonellen Entwicklung dem männlichen oder weiblichen Geschlecht nicht zugeordnet werden kann. Eine Berichtigung der Einträge "inter", "divers" oder "offen" auf "männlich" oder "weiblich" bzw. einer Ergänzung eines bisher nicht vorgenommenen Geschlechtseintrags durch "männlich" oder "weiblich" kann ebenfalls nur auf Grund eines entsprechenden Fachgutachtens erfolgen; davon unberührt bleibt eine Änderung oder Ergänzung in zeitlicher Nähe zum Geburtseintrag.
Bundesministerium für Inneres, 2020-0.606.874

Natürlich steht das im Widerspruch zur Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs. Das sieht später auch das Verwaltungshericht Wien in der Verhandlung meiner Beschwerde gegen den Bescheid so:

Soweit sich die belangte Behörde bei ihrer Vorgangsweise auf einen mit den hier dargestellten Erwägungen nicht übereinstimmenden Erlass des Bundesministers für Inneres stützte, ist dieser Erlass rechtswidrig.

Beschwerde #

Wie ich schon verraten habe, habe ich eine Beschwerde gegen den Bescheid geschrieben, nach 72 Tagen, am 20.02.2023, war dann die Verhandlung. Und ich hatte Angst. Sehr viel. Ich gehe nicht gut mit neuen Situationen um, und die war sehr neu. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Drei Freund*innen haben mich zum Gericht begleitet. Ich laufe vor Raum C1.06 auf und ab, gehe im Kopf Argumente durch, denke an alles andere, als Ablenkung. Und dann ging alles ganz schnell. Pünktlich um 13.00 beginnen wir. “Wie soll ich Sie am besten ansprechen? “Herr” passt ja wahrscheinlich nicht so ganz.” fragt mich der Richter.

Gericht #

Elf Minuten später stehen wir auf. “Wir haben überzogen, ich dachte, ich brauche nur 10 Minuten, weil der Fall klar ist.” sagt er. Und dann: “Also.. Ja. Ich verkünde das folgende Erkenntnis. Im Namen der Republik! Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und es wird (…) im Personenstandsregister die Änderung des Geschlechtseintrages von “männlich” auf “divers” verfügt.”. Um 13:30 verlasse ich das Gerichtsgebäude wieder. Es war unspektalulär.

Ich bin glücklich. Und lasse mir vom Standesamt eine neue Geburtsurkunde ausstellen. Auch wenn das vielleicht verschwendetes Geld ist, weil erwartet wird, dass das Innenministerium in Revision gehen wird. Und das tun sie auch. Mehr oder weniger, natürlich ist es einfacher das Standesamt anzuweisen, in Revision zu gehen, als es selbst zu machen.

Revision #

Weil ich gut darin bin, das Datenschutzgesetz und die DSGVO zu verwenden, komme ich so auch an meinen Akt im Referat III/A/5/b Personenstandswesen des BM.I. Und dort lernen wir, dass einen Tag (!) nach Zustellung der Erkenntnis an das BM.I sie das Standesamt anweisen, das Revision zu erheben ist.

Scan eines Teil eines Aktes. Inhalt: Eine Email des Bundesministerium für Inneres an die Magistratsabteilung 63, Zu beiligender Entscheidung ist Revision zu erheben.

Auch das Standesamt scheint zu wissen, dass das eher aussichtslos ist. Es scheint einen weiteren Emailverkehr zu geben, der damit endet, dass das BM.I über 20 Jahre alte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs ausgräbt, in dem entschieden wird, dass Transpersonen Gutachten zu bringen haben (etwas eigenartig, weil ich habe ja eines gebracht).

Und natürlich darf die heilige Kuh der Österreicher*innen nicht fehlen:

Daraus kam der Schluss gezogen werden, dass eine gesicherte und darüber hinaus euch dauerhafte Zuordnung einer Person zu einem Geschlechtseintrag gewährleisteet muss, um eine geordnete Vollziehung zu gewährleisten und öffentliche Interessen wahmehmen zu können (Pensionsantritt, Wehrpflicht, etc.).
Email des Referats BMI III/A/5/b an das Standesamt Wien

Fast so, als hätte sich der Verfassungsgerichthof nicht schon mit genau dieser Frage auseinandergesetzt. Oh, warte. Das hat er ja doch. Und da das Alter für den Pensionsantritt dann wenn ich in Pension gehe sowieso angeglichen sein wird, ist auch nur ein weiterer Punkt.

Selbst wenn entsprechende Änderungen im Personenstandsrecht auch Auswirkungen auf andere Bereiche der Rechtsordnung haben und dort Anpassungsbedarf auslösen können, lösen diese allfälligen Anpassungen keine derartigen Schwierigkeiten aus, die im Interesse der öffentlichen Ordnung die Interessen der betroffenen Menschen auf Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität und auf eine gesetzliche Ausgestaltung, die diese auch entsprechend ermöglicht und schützt, überwiegen. (...) So ist nur darauf hinzuweisen, dass beispielsweise zahlreiche Regelungen, die derzeit (nur) auf die traditionellen Geschlechter männlich oder weiblich abstellen, von vorneherein das Recht von Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich auf Wahrung ihrer individuellen Geschlechtsidentität nicht berühren (wie das im Allgemeinen bei Regelungen im Sinn des Art. 7 Abs. 2 B-VG der Fall sein dürfte).

Warten… #

Fünf Jahre ist die Erkenntnis jetzt her. Fünf Jahre, in denen die Politik Zeit hatte, die rechtlichen Unklahrheiten, die entstanden sind, zu beheben. Das hat sie natürlich nicht getan. Es ist nicht einmal klar, ob ich jetzt noch wählen darf (Art. 26 des Bundes-Verfassungsgesetzes: “Der Nationalrat wird vom Bundesvolk auf Grund des (…) Wahlrechtes der Männer und Frauen, (…) gewählt.”). Wer würde mich durchsuchen, wenn ich eine Polizeikontrolle komme? Viele weitere Fragen sind - zumindest theoretisch - noch offen. “Die juristischen Künste sind sehr akrobatisch” sagt Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Holzleithner, Rechtsphilosophin an der Universität Wien, gegenüber dem Datum Magazin.

Inzwischen habe ich eine Revisionsbeantwortung übermittelt. Über 1000€ hat mich das gekostet21 (Insgesamt habe ich bis jetzt ca. 1500€ ausgegeben, und das ist billig, weil ich fast alles selbst gemacht habe. Hätte ich mich das ganze Verfahren über anwaltlich vertreten lassen, wäre ich schon bei einer fünfstelligen Summe angelangt). Der Fall wurde dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt, wo er jetzt auf eine Entscheidung wartet. Und wieder bin ich in der Schwebe. Jetzt, wenigstens, einstweilen, “offiziell divers”.

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